Behörden wussten von nichts Ukrainische Familie lebte in der Heimat und kassierte 40.000 Euro Bürgergeld

Autor Oliver Stock

Donnerstag, 08.02.2024, 09:30

Eine vierköpfige Familie aus der Westukraine soll ein Jahr lang rund 40.000 Euro Sozialleistungen aus Deutschland bezogen haben. Sie war dorthin geflohen, aber nach einigen Monaten wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Dass sie nicht mehr da waren, fiel den deutschen Behörden monatelang nicht auf. Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa Die Agentur für Arbeit und das Jobcenter.

Jobcenter und Arbeitsagenturen sind bei der Auszahlung von Bürgergeld und anderen finanziellen Hilfen für ukrainische Flüchtlinge auf deren Kooperation und Vertrauenswürdigkeit angewiesen, sonst geht vieles schief, wie jetzt ein Fall aus Schleswig-Holstein zeigt.

Kurz nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Frühjahr 2022 ist dort eine Mutter mit ihrem Sohn bei einer Gastfamilie untergekommen. Die Gastmutter, die anonym bleiben möchte, begleitete die beiden bei Behördengängen. Das Bürgergeld sei sofort geflossen, ein Kita-Platz und bald auch eine Wohnung standen zur Verfügung, berichtet sie.

Wenige Monate später zog auch der Ehemann nach Schleswig-Holstein, die Familie erwartete ein zweites Kind. Als das zur Welt kam, erhielten die vier staatliche Leistungen in Höhe von rund 3200 Euro monatlich, bestehend aus Bürgergeld, Mietzuschuss und Heizkostenzuschuss.

Bürgergeld: Ukrainer sollen in ihrer Heimat 40.000 Euro Sozialleistungen bezogen haben

Anfang 2023, als sich abzeichnete, dass der Krieg lange dauern würde, die Westukraine aber bis dahin einigermaßen verschont geblieben war, beschloss die ukrainische Familie zunächst, in ihre Heimat zurückzukehren. Doch mit dem Wintereinbruch 2023 pendelten sie wieder nach Schleswig-Holstein.

Der inzwischen sechsjährige Erstgeborene brauchte keinen Kita-, sondern einen Schulplatz. Wieder wandten sich die Ukrainer an die Gastmutter von einst, doch beim Versuch der Einschulung stellte sich heraus, dass die Familie während ihrer fast einjährigen Abwesenheit weiterhin Unterstützungsleistungen aus Deutschland bezogen hatte.

Rund 40.000 Euro waren geflossen, obwohl die vier nicht als Flüchtlinge in Deutschland, sondern unter Landsleuten in ihrer Heimat gelebt hatten.

Deutsche Gastmutter fühlt sich "ausgenutzt", Jobcenter will Betrug aufklären

Die Gastmutter hat ihre Unterstützung inzwischen empört eingestellt. Sie fühlt sich "ausgenutzt" und will erfahren haben, dass der Fall keine Ausnahme ist, sondern unter den ukrainischen Flüchtlingen als Tipp kursiert, wie man an Geld kommt. Im Landkreis versucht das zuständige Jobcenter den Sachverhalt aufzuklären.

Reden will niemand, denn dass hier eine Seite die andere ausgenutzt hat, die andere aber auch die Kontrolle verloren hat, macht alle nervös.

Nur beim Jobcenter erfährt die Gastmutter, dass es oft "extrem schwierig" sei, den Aufenthaltsort der Ukrainer zu ermitteln. Und dass ein automatischer Abgleich zwischen Kita oder Schule und den Behörden, die das Bürgergeld auszahlen, nicht vorgesehen sei.

Deshalb habe im Jobcenter auch niemand erfahren, dass das Kind der Ukrainer fast ein Jahr lang nicht in der Kita war.

Bundesagentur für Arbeit bestätigt, dass es möglich ist, das System so auszunutzen

Die Bundesagentur für Arbeit, die für die finanzielle Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge zuständig ist, kennt den konkreten Fall nicht, bestätigt aber, dass es möglich ist, das System so auszunutzen.

Ukrainische Flüchtlinge würden zwar wie alle anderen Leistungsberechtigten regelmäßig ins Jobcenter eingeladen, stellt eine Sprecherin klar. Aber: "Über das konkrete Intervall entscheiden die Jobcenter nach eigenem Ermessen vor Ort".

Ob es einen Austausch zwischen Kitas und Schulen auf der einen und den Kostenträgern auf der anderen Seite gibt, um die Anwesenheit der Kinder zu überprüfen? In der Regel nicht, so die Antwort, da dies im Rahmen der Betreuung erfolgen solle.

Dass dies in Schleswig-Holstein nicht geschehen ist, hängt mit der völligen Überlastung der Jobcenter zusammen. Rund 700.000 ukrainische Flüchtlinge erhalten derzeit in Deutschland Bürgergeld. Auf diesen Ansturm waren die Jobcenter und Arbeitsagenturen vor Ort nicht vorbereitet. Die Betreuer in den Behörden sind überfordert.

Überblick über Vermögensverhältnisse ukrainischer Antragsteller nicht möglich

So gelingt es beispielsweise auch nicht, sich einen Überblick über die Vermögensverhältnisse der ukrainischen Antragsteller zu verschaffen.

Bei deutschen Bürgergeldempfängern ist es üblich, dass sie beim Antrag auf Bürgergeld ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Mehr als 40.000 Euro dürfen sie nicht besitzen, sonst gibt es nichts.

Bei Ukrainern wird dieser Nachweis zwar abgefragt, eine Kontrolle sei aber "faktisch nicht möglich", berichtet Steffi Ebert, Leiterin des Job-Centers im thüringischen Schmalkalden-Meiningen.

Mehr dazu lesen Sie hier: Kontrolle "faktisch nicht möglich" - Bürgergeld für Ukrainer - jetzt wendet sich erster Landkreis direkt an Kanzler Scholz

"Einkommen und Vermögen werden anhand der gesetzlichen Regelungen geprüft. Dazu sind die Angaben der Antragstellenden erforderlich. Nachweise werden geprüft. Einkommen und Vermögen im Heimatland können wir allerdings nur zu Grunde legen, wenn dies angegeben wird." Eine Nachprüfung im Ausland? In der Ukraine? Fehlanzeige.

Das Original zu diesem Beitrag "Ukrainische Familie lebte in der Heimat und kassierte 40.000 Euro Bürgergeld" stammt von The European.


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